Gemeinsam mit den Verbänden DIHK, BDA, BDI, DEHOGA, DRV und ZDH plädiert der HDE für eine abgewogene und verhältnismäßige Strategie bei den Reisebeschränkungen in der Corona-Krise.

Die jüngsten Verlängerungen und Ausweitungen von Reisebeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihre mangelnde Koordination zwischen den EU-Mitgliedstaaten haben vielfältige negative wirtschaftliche Auswirkungen, die weit über die Einschränkung touristischer Reisen hinausgehen. Sie treffen viele Unternehmen in einer wirtschaftlich sehr fragilen Phase – denn im Unterschied zum Beginn der Pandemie sind die Liquiditäts- und Kapitalreserven mittlerweile vielfach aufgezehrt. Die geschäftlichen Verbesserungen gegenüber der Situation im April und Mai dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Unternehmen weiter unter massiven Umsatzrückgängen leiden oder sogar von einer Insolvenz bedroht sind.

Die Wirtschaft ist sich bewusst, dass Reisebeschränkungen ein Instrument der Politik zur Eindämmung der Pandemie sind. Reisebeschränkungen bergen jedoch die Gefahr, dass sie wirtschaftliche Aktivitäten wie Handel und Investitionen in große Mitleidenschaft ziehen. In jedem Fall ist es für die Akzeptanz bei den gravierend negativ betroffenen Unternehmen wichtig, dass die Politik in diesem Bereich besonders sensibel vorgeht und ihre Schritte gut und nachvollziehbar begründet.

Deshalb plädieren wir dafür, in diesem Bereich großen Wert auf Verhältnismäßigkeit zu legen, um effektive Maßnahmen mit zugleich möglichst geringen wirtschaftlichen Auswirkungen zu verbinden. Zu häufige und kurzfristige Veränderungen der Regeln bei Teststrategie, Quarantänevorgaben und Reisewarnungen schaffen Unsicherheit und erhöhen wirtschaftliche Risiken. Zudem steigern unterschiedliche Vorschriften in den einzelnen EU-Ländern den Informations- und Planungsaufwand für die deutschen Unternehmen insbesondere im Binnenmarkt. Zu einer abgewogenen Strategie gehört, bei den weltweiten Reisebeschränkungen die sehr unterschiedlichen Situationen in verschiedenen Ländern zu berücksichtigen. Zudem ist eine bessere Koordination der EU-Mitgliedstaaten notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes aufrechtzuerhalten. Für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt sind Arbeitnehmerfreizügigkeit, grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung und unkomplizierte Dienstreisen unverzichtbar. Auch ist immer wieder zu prüfen und auch nachvollziehbar darzustellen, ob tatsächlich die individuelle Reisetätigkeit generell ein Risiko darstellt oder ob nicht vielmehr die Nichteinhaltung der AHA-Regeln z.B. bei privaten Feiern im In- und Ausland die Ursache für höhere Infektionen ist.

In die Abwägung im Vorfeld politischer Weichenstellungen in diesem Bereich müssen die wirtschaftli-chen Folgewirkungen mit einbezogen werden. Wichtig ist die Suche nach Lösungen, die Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Aktivitäten zugleich fördern. So setzen viele Unternehmen ihre Hoffnungen auf Schnelltests, die Reisebeschränkungen und Quarantänezeit zumindest reduzieren könnten. Um das Risiko für Urlauber und Geschäftsreisende sowie für die Allgemeinheit zu minimieren, sollten für Reiserückkehrer aus Risikogebieten ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Auch sollten vorhandene Mittel effektiv eingesetzt werden. Das beinhaltet u. a., wo immer möglich veterinärmedizinische und anderweitige Labordienstleister einzubeziehen sowie neue Schnelltestverfahren und Ressourcen schonende Pooling-Ansätze bei Tests sinnvoll zu nutzen. Um eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlicher Aktivität sicherzustellen, sollte innerhalb der Bundesregierung neben dem Gesundheits- und Innenressort auch das Bundeswirtschaftsministerium bei der Vorbereitung von Reisebeschränkungen und anderen Pandemie-Maßnahmen durchgängig beteiligt werden. Bei der Einordnung von Staaten und der Entscheidung über Reisehinweise und Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt muss die wirtschaftliche Folgenabschätzung ebenfalls ein Bestandteil der Erwägungen sein.

Die Folgen treffen weite Teile der Wirtschaft und viele verschiedene Branchen:

– Für jedermann offensichtlich sind die nachteiligen Wirkungen für die Tourismusbranche im weitesten Sinne. Reisen ins Ausland können nicht oder nur unter eingeschränkten Bedingungen stattfinden – Reisebüros, Reiseveranstalter, Busunternehmen, Fluggesellschaften sind hier in ihrer Geschäftstätigkeit weitestgehend eingeschränkt.

– Reisebeschränkungen haben aber auch im Inland negative Auswirkungen. Im ersten Halbjahr 2020 verbuchten Beherbergungsbetriebe 15,7 Mio. Übernachtungen von ausländischen Gästen – einem Minus von 60,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dies führt zu schmerzhaften Umsatzeinbrüchen im Bereich von Hotels, Gastronomie und verbundenen Dienstleistungsbereichen wie Reinigungsunternehmen, Lebensmittelhandwerk und Taxigewerbe.

– In der Folge sind auch Umsatzeinbußen in Teilen des Einzelhandels direkt mit den Reisebeschränkungen verknüpft. Denn Touristen sind nicht nur an Flughäfen und Bahnhöfen, sondern gerade auch im Einzelhandel der Innenstädte der touristischen Ziele wichtige Kunden.

– Reisen ins Ausland sind nicht nur touristisch wichtig. Auch der weltweite Handel und Warenaustausch sowie die Investitionstätigkeit wird empfindlich getroffen. Denn die deutsche Wirtschaft ist weltweit mit zahlreichen und eng vernetzten Standorten vertreten. Laut jüngster Sonderumfrage des AHK World Business Outlook im Juli sehen sich 63 % der deutschen Unternehmen im Ausland von Reiseeinschränkungen betroffen. So können exportorientierte Unternehmen aufgrund vieler Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen oftmals ihre Manager, Techniker; Monteure oder Vertriebsmitarbeiter nicht zu ihren ausländischen Kunden oder Lieferanten entsenden. Industrieunternehmen leiden so nicht nur unter der pandemiebedingten Wirtschaftskrise weltweit, sondern darüber hinaus geraten sie auch bei der fristgerechten Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen sowie der Akquise von Neugeschäften ins Hintertreffen. Selbst dort, wo potenzielle Kunden vorhanden sind, kommt man oft nicht zusammen, da aufgrund der Reisebeschränkungen internationale Fachmessen kaum durchgeführt werden. Dadurch fehlen neue Aufträge; Investitionen können nicht getätigt werden. Auch technische Spezialisten können nicht reisen, um Maschinen zu installieren oder zu reparieren – mit Folgen für die Lieferkette.

– Für viele deutsche Unternehmen wird die daraus resultierende Unmöglichkeit oder Schwierigkeit zu reisen immer mehr zum Problem bzw. Wettbewerbsnachteil. Blitzumfragen einzelner AHKs verdeutlichen die Dimension: in China geben 84 % der befragten deutschen Unternehmen Reisebeschränkungen als größte Herausforderung an, für Japan sprechen 78 % von einer „erheblichen Belastung“, für Singapur 93 %, für Ägypten und Südafrika jeweils über 80 %.

– Im Bereich von Logistik und Verkehr haben die jüngsten Staus an den Grenzen im Zusammenhang mit Corona-Tests und die Überlegungen zu Quarantäne-Vorschriften bei Grenzübertritt die Sorgen erhöht, es könne wieder zu Einschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs selbst im EU-Binnenmarkt kommen.

– Messen im In- und Ausland können infolge von Reisebeschränkungen nicht stattfinden. Das gefährdet nicht nur die Existenz von Messegesellschaften, Messeveranstaltern und Messebauern, sondern weiteren Branchen wie Beherbergungsgewerbe, Sicherheitsdienstleistern, Catering-Unternehmen, Gebäude- und Textilreiniger oder Eventagenturen. Zudem kommen auch die wichtigen positiven wirtschaftliche Effekte und Verträge zwischen Ausstellern und Kunden nicht zustande.

Die Wirtschaft hat selbst das allergrößte Interesse, die Pandemie zu begrenzen und so wirtschaftliche Einschränkungen weitgehend zu vermeiden. Für eine breite Akzeptanz der politischen Maßnahmen bei Unternehmen und Beschäftigten ist es aber gerade jetzt wichtig, die Perspektiven, Erfahrungen und Kenntnisse der Unternehmen und ihrer Verbände beim Ringen um eine abgewogene und verhältnismäßige Vorgehensweise zu berücksichtigen.

Quelle: HDE